lexander Herrmann gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Spitzenköchen Deutschlands. Im Interview mit Gastgeber Bayern erzählt der erfolgreiche Unternehmer und Sternekoch, wie er die Corona-Krise beruflich und persönlich erlebt hat. Er erläutert, was der Begriff Erfolg für ihn bedeutet, welche Charaktereigenschaften einem Koch helfen, erfolgreich zu werden und was ein gutes Küchenteam vom Film-Epos „Herr der Ringe“ lernen kann
Lieber Alexander, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen gehörst Du zu den absoluten Spitzenköchen in Deutschland. Zudem bist Du durch die Teilnahme an vielen unterschiedlichen TV-Formaten einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Hat Deine Prominenz Dein Leben verändert?
Eigentlich spreche ich nicht gerne von Prominenz – Bekanntheit trifft es besser. Vor 25 Jahren habe ich mit dem Kochduell beim Fernsehsender Vox angefangen. Das Format gab uns damals die Möglichkeit, unser Posthotel in Wirsberg als Hotel und Restaurant zu entwickeln. Es hat zwar noch einige Jahre gedauert, bis wir den ersten Stern erhalten haben, aber ohne diesen Rückenwind des Fernsehens, wäre es definitiv ein schwererer Weg dorthin gewesen. Durch die Bekanntheit, die man durch Fernsehauftritte erlangt, hat man durchaus so manchen Vorteil. In unserem Hotel bin ich es allerdings schon von klein auf gewohnt, gekannt zu werden. Schließlich bin ich dort aufgewachsen und war immer „der Bub“ des Betreibers – daher bin ich den Kontakt mit den Gästen und damit auch einen gewissen Bekanntheitsgrad seit jeher gewohnt. Durch meine Arbeit in den Medien hat sich diese Bekanntheit „nur noch“ ein wenig ausgeweitet.
Hättest Du Dir vor Corona vorstellen können, dass es mal so etwas gibt wie einen Lockdown? Eine flächendeckende Betriebsschließung für alle? Hattest Du vorab einen Plan B? Oder hat es Dich genauso „kalt erwischt“ wie alle anderen?
So etwas hätte ich nie geahnt. Auch nicht, dass der Lockdown so lange andauert. Corona hat mich in der Tat „eiskalt erwischt“. Das hätte ich mir in meinen kühnste Träum nicht ausmalen können. Ich dachte: Gegessen und getrunken wird immer, daher sei die Gastronomie krisenfest. Nüchtern betrachtet muss man auch sagen, dass die Schließung im ersten Lockdown legitim und auch wichtig war. Im zweiten Lockdown empfand ich unsere Branche schon als eine Art Bauernopfer. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es seitens der Regierung viele gute Hilfen gab – unter anderem mit der 75 Prozent-Regelung und der Überbrückungshilfe 3. Trotzdem gab es natürlich auch einige, die durch das Raster gefallen sind. Das tut mir sehr leid für die betroffenen Kollegen, da sie vielfach absolut unverschuldet in diese Situation geraten sind.
Was waren für Dich die größten Herausforderungen der Pandemie-Zeit?
Ich glaube, die größte Herausforderung war der richtige Umgang mit dem Team. Jeder Mitarbeiter hatte eine andere Art, mit der Krise umzugehen. Ich bin sicher, ich habe noch nie so viele Mitarbeitergespräche geführt, wie in dieser Zeit. Es gab einige, die haben sich neue Lebensqualität erschlossen, haben begonnen, spazieren zu gehen, viel Sport getrieben oder sich andere Hobbies gesucht. Andere haben es nicht so einfach weggesteckt. Ich denke, die Prüfung zum Psychologen könnte ich mittlerweile recht erfolgreich absolvieren. Auch man selbst macht sich natürlich Sorgen um die eigene Existenz, seinen Betrieb und die Mitarbeiter. Das hat schon sehr viel Kraft gekostet.
Was war Euer schlimmster Rückschlag in den letzten 22 Monaten?
Das war sicherlich der zweite Lockdown. Der erste Lockdown war in erster Linie dadurch schwierig, da man nicht wusste, wie man die Schließung finanziell stemmen soll. Gastronomie ist ein Handwerk – damit baut in der Regel kein Vermögen oder nennenswerte Rücklagen auf. Kaum ein Gastronom hat ein Polster von dem er wochen-, geschweige denn monatelang zehren kann. Auch die Banken waren noch unvorbereitet und demnach völlig überfordert. Trotz der Ungewissheit im ersten Lockdown, war der zweite aus meiner Sicht aber der noch größere Rückschlag. Mit einer Schließung von sieben Monaten war diese Phase immens lang. Man dachte ja, Mitte Dezember 2020, spätestens nach Weihnachten oder Silvester könne man wieder öffnen. Mit sieben Monaten hatte niemand gerechnet. Das war wirklich sehr herausfordernd.
Du hast Dich in der Krise nicht versteckt, sondern Deine Bekanntheit auch dazu genutzt, um auch mal Tacheles zu reden und etwas für die gesamte Branche zu bewegen. Kam das positiv an oder gab es dafür auch Anfeindungen?
Ganz offen und ehrlich? Dafür habe ich schon ordentlich eins mitbekommen. Gerade in den sozialen Medien herrscht ja bekanntlich ein recht schäbiger Tonfall. Ich war unter anderem einmal bei „Hart aber fair“ und bin im Nachhinein ganz froh, dass ich dort verhältnismäßig ungeschoren davongekommen bin. Ich habe nun einmal Dinge ausgesprochen, die mir auf den Herzen lagen. Wie angreifbar meine Aussagen waren, war mit in dem Moment egal – das kann einem in solchen Formaten schon zum Verhängnis werden. Andererseits habe ich auch viel positives Feed-back mit dem Tenor erhalten: „Du hast uns aus dem Herzen gesprochen“. Als die Anfrage des Gesundheitsministeriums kam, ob ich bei der Impfkampagne mitmachen möchte und ich dabei als einer der ersten bekannten Teilnehmer mitgemacht habe, hatte mir eine Frau einen Gutschein von uns zurückgesendet, weil sie mit einer Impfpflicht ein Problem habe. Sie fände es schrecklich, wie ich mich verhalte und äußere. Selbstverständlich haben wir ihr das Geld für den Gutschein ausbezahlt – Derartiges muss man aushalten, wenn man sich in der Öffentlichkeit positioniert.
Du hattest zahlreiche Ideen für Deinen Betrieb. Man denke an die Dinner-Boxen, Heimat-Gutscheine, den Gourmet-Automat und so weiter. Was waren aus Deiner Sicht die besten Ideen, die auch die Chance haben, die Krise zu überdauern?
Unsere witzigste Idee war sicher der Gourmet-Automat. Das ist zwar kein Konzept, das sich wahnsinnig rechnet. Aber wir fanden die Idee cool und vor allem: Wir haben etwas gemacht und hatten eine sinnvolle Beschäftigung. Das war uns sehr wichtig. Die Dinner-Box war eine Idee meines Teams. Mit der Unterstützung eines Freundes haben wir sie realisiert. Daraus ist schließlich das Unternehmen Starchef-Box entstanden. Der ganze Prozess war wahnsinnig kompliziert und aufwendig. Da hängt so viel mehr dran als man denkt: Das Verpackungsmaterial, das Liefergewicht, Hygienemaßnahmen – man braucht eine europäisch zugelassene Produktionsküche für die rechtlich einwandfreie Lieferung von Außer-Haus-Produkten und, und, und. Das war schon verrückt – trotzdem ist aus der Energie und Kraft meines Führungsteams in dieser schwierigen Zeit letztlich ein neues Unternehmen entstanden. Dieses Projekt wollen wir definitiv fortführen und weiterentwickeln.
Was hat Dir während der Krise Mut gemacht oder Kraft gegeben? So schwer die Situation auch war?
Ich war absolut beeindruckt, wie viele Menschen bei uns reserviert haben, sobald wir wieder geöffnet hatten. Und auch die Akzeptanz, dass wir manche Dinge des Konzepts umstellen mussten, das war wirklich positiv. Corona war sogar ein Booster für Veränderungen. Trotz aller Herausforderungen, denen man sich stellen und allen Schwierigkeiten, die man ertragen musste. Die Veränderungen, die sich zum Teil ergeben haben, hatten auch durchaus ihr Gutes: Als wir um 21.00 oder 22.00 Uhr schließen mussten, haben wir beispielsweise einfach früher begonnen. Statt zwei Menüs wurde nur noch eins angeboten, wahlweise mit sechs oder mit acht Gängen. Das führte zu einer enormen Erleichterung der Abläufe. Nachdem die Gäste wussten, dass wir früh schließen mussten, waren alle um 18.00 Uhr da – damit konnten wir alle Speisen gleichzeitig rausschicken, wie beim Bankett. Wir waren fast immer ausgebucht. Um dann alles so leisten zu können, war die frühe Startzeit gut und hat uns viel gebracht, um die gewohnte Qualität zu bieten. Wir haben die vergangenen zwei Jahre auch dazu genutzt, um stetig weiter an unserem Konzept zu feilen und uns weiterzuentwickeln. So haben wir unter anderem die Weinkarte verändert und begonnen, unsere eigene Sojasoße herzustellen. Die Krise bot uns auch neue Möglichkeiten, indem wir Zeit hatten, den Blick auf uns selbst zu richten und an den unterschiedlichen Stellschrauben zu drehen.
Welche Eigenschaften machen einen guten Koch für Dich aus? Welche Charakterzüge muss man für den Beruf mitbringen?
Kurz gesagt: Von nichts, kommt nichts. Du musst bereit sein, zu arbeiten, es akzeptieren, Fehler zu machen und mit Deinen Fehlern konfrontiert zu werden. Der Fehler ist nicht das Gegenteil des Erfolgs, sondern ein Teil davon. Du musst lernen, Probleme zu lösen und dranzubleiben. Ich glaube, Durchhaltvermögen spielt eine große Rolle. Wenn Du dranbleibst und bereit bist, einen Schritt mehr zu gehen, kannst Du auch erfolgreich werden. Ein positives Mindset ist extrem wichtig, ebenso wie Leidenschaft. Man muss sich Ziele stecken. Nur wenn man ein Ziel hat, kann man auch die Disziplin aufbringen, es zu erreichen. Wenn etwas schiefgeht, denke ich mir persönlich „Das hat nicht funktioniert, das ist aber immer noch besser, als es nicht versucht zu haben.“ Misserfolge muss man abstreifen und weitermachen. Das ist beim Kochen genauso wie in jedem anderen Beruf der Welt.
Was bedeutet Erfolg für Dich persönlich?
Für mich bedeutet Erfolg in erster Linie eine gute Balance. In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es großartige Köche, die wirklich etwas geleistet haben. Die Sachen gemacht haben, die es in Deutschland so noch nicht gab. Sie waren als Köche definitiv erfolgreich. Wenn man dann aber hinter die Kulissen gesehen hat, gab es oft zerrüttete Familien, eine schlechte Gesundheit oder finanzielle Schwierigkeiten. Sie haben in anderen Lebensbereichen extreme Opfer gebracht. Auf eine gelungene Balance zu achten, mit Blick auf Familie und Freunde sowie die Wirtschaftlichkeit des eigenen Unternehmens und dabei gleichzeitig etwas Großartiges mit dem Team zu erreichen, das ist für mich wahrer Erfolg.
Du bist vielbeschäftigt. Wo und wie tankst Du Kraft für Deinen kräftezehrenden Alltag?
Meine Energie beziehe ich aus dem Vertrauen in die Gemeinschaft. Alle sprechen im Zusam menhang mit ihrer Mannschaft von einem Team oder einer Familie. Ich finde diese Begriffe nicht ganz passend. Ein Team ist aus Druck geboren. Familien sind – wenn man ehrlich ist – nie völlig intakt und haben auch häufig mal etwas Gezwungenes. Eine Gemeinschaft ist für mich eine Mischung aus beidem – einem Team und einer Familie. Das ist wie bei „Herr der Ringe“, wo sich eine Gemeinschaft einer schier unmöglichen Aufgabe stellt. Alle glauben an ein gemeinsames Ziel und schließen sich zusammen. Auch wenn der Zwerg und der Elf sich immer aufziehen, entwickeln sie eine spielerische Art, miteinander umzugehen. Bei allen persönlichen Unterschieden formt sich eine Gemeinschaft aus einem gemeinsamen Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die Stärken und Schwächen des Gegenübers spielerisch angenommen. Man akzeptiert sich und ist für den anderen da, völlig freiwillig und mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen. Das Vertrauen in diese Gemeinschaft gibt mir Kraft und lässt mich auch in schwierigen Situationen entspannt bleiben, weil ich weiß, dass ich nicht allein bin und nicht allein arbeite. Alles, was wir uns aufgebaut haben, ist nicht nur mein eigenes Werk, sondern es ist ein Werk aus vielen, vielen großartigen Persönlichkeiten.
Hast Du schon neue Ideen, neue Projekte? Was planst Du oder was setzt Du gerade um?
Vor kurzem habe ich mich mit meinem Team für ein paar Tage weggesperrt. Jetzt nenne ich es Team, weil der Begriff geläufiger ist – in meinem Herzen trage ich den Begriff der Gemeinschaft (lächelt). Wir wollen das Familienhotel auf die nächste Ebene heben. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang auch mit Themen abseits des Gastronomischen beschäftigen. Wir wollen andere Einkommensquellen erschließen und eine bessere Rendite erwirtschaften. Dafür haben wir in einem ersten Schritt die aktuellen Megatrends analysiert. Corona hat mir ein wenig das Träumerische genommen. Daher haben wir beschlossen, gezielt drei Megatrends auszuwählen, die zu uns passen und mit denen sich das Team identifizieren kann. Daraus entsteht gerade ein Strategiepapier. Dieses Jahr gilt es, die inhaltlichen Weichen zu stellen und in den kommenden beiden Jahren werden wir auf dieser Basis einige Umbaumaßnahmen angehen. Ein Beispiel für diese Megatrends ist etwa das Thema Gesundheit: Ich lasse derzeit meine Gerichte dahingehend analysieren. Ich glaube nämlich, in unseren Produkten steckt noch viel mehr Gutes, als wir es bereits wissen. Diese Stärken zu analysieren und aktiv zu kommunizieren, ist eines der Ziele für die nächsten Jahre.
Das Interview führte Frank-Ulrich John
ZUR PERSON: Alexander Herrmann stammt aus einer Hoteliers-Familie und wuchs in Wirsberg auf. Er besuchte die Hotelfachschule „Bavaria Altötting“ und absolvierte eine Koch-Ausbildung in Nürnberg. Die Prüfung zum Küchenmeister bestritt er als Jahrgangsbester und erhielt eine Auszeichnung der Bayerischen Staatsregierung. 1995 stieg er als Küchenchef in das Familienunternehmen „Hermanns Romantik Posthotel“, das seit 1869 im Besitz der Familie ist. Das Hotel verfügt über ein Sternerestaurant, ein Bistro und eine Kochschule. 2017 eröffnete er zwei Restaurants in Nürnberg, das „Gourmetrestaurant Imperial by Alexander Herrmann“ und im Erdgeschoss des gleichen Hauses das moderne fränkische Restaurant „Fränk’ness“. Zudem ist Herrmann in der Eventgastronomie tätig, vertreibt eine eigene Produktlinie, ist Kochbuch-Autor und bekannt durch Funk und Fernsehen