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esellschaftliche Stimmungen zwingen die Gastro-Branche in regelmäßigen Abständen dazu, ihre Speisenangebote zu überdenken und diese gegebenenfalls an den Vorlieben des Marktes anzupassen. Aber einfach nur die Speisekarte um einen Veggi Burger erweitern? Das funktioniert nicht, explizit wenn der Gastronom auch mehrgängige Menüs verkaufen möchte.
© TransGourmet/Gregor Ott
Zuallererst sollte das neue pflanzliche Angebot auch der Ausrichtung des ursprünglichen Betriebs entsprechen – beispielsweise mediterran, alpenländisch, thai, urig Berlinerisch, bio und regional oder Ähnliches. Hinzu kommt die Frage, wie oft die Speisekarte aktualisiert werden soll. Setzt man auf ein eher statisches Angebot das ganze Jahr über, oder darf es eine saisonal wechselnde Karte mit regionalen Spezialitäten sein?
Es folgt ein Blick in die Küche: was kann diese technisch und personell leisten? Wie ist die Küche organisiert in puncto Einkauf, zeitversetzte Produktion und Lagerung? Womit wird das meiste Geld in der Küche verdient? Warum ist das so? Das pflanzliche Angebot sollte nach dem gleichen Prinzip ausgewählt werden und schon beim Lesen der Karte Appetit anregen. Die Wertigkeit kann durch Hervorhebung besonderer Zutaten gesteigert werden: Dies können beispielsweise besondere Kräuter, alte Gemüsesorten oder ein hochwertiges Öl sein. Doch Vorsicht: Ein Prädikat wie „Bio“ darf nur dann verwendet werden, wenn in dem Betrieb auch die entsprechende Zertifizierung vorgenommen wurde. Die pflanzlichen Gerichte sollten wie ein roter Faden durch die Speisekarte führen, sodass es dem Gast auf Wunsch auch möglich ist, ein attraktives und vollständig pflanzliches Menü zu bestellen.
Auch die „traditionellen“ Fleischgerichte sollten in diesem Zuge überprüft werden. In welchen Komponenten finden sich tierische Produkte? Ist es möglich diese ohne Qualitätsverlust zu ersetzen (zum Beispiel Butter durch hochwertiges Öl), sodass auch ein Komponententausch im Menü möglich ist? Der optimale Zustand ist diesbezüglich erreicht, wenn alle Zubereitungen der Küche rein pflanzlich sind, natürlich bis auf die eindeutig tierischen Produkte wie Rinderbrühe, Kalbsjus, Fischsuppe, Sahneeis, Parmesanchip oder Ähnliches. Somit ist auch intern klar, in welchen Zubereitungen tierische Produkte vorkommen und welche rein pflanzlich sind. Das erleichtert auch die Beratung der Gäste mit Allergien oder Unverträglichkeiten.
Bei der Auswahl der Lebensmittel ist ein Vegan-Siegel und ein Blick auf die Zutatenliste wichtig, im Zweifel empfiehlt sich diesbezüglich auch eine Rückfrage beim Hersteller. Ziel ist, die Speisekarte weitestgehend pflanzlich zu halten und diese „Basis“ je nach Bestellung durch eine Komponente „on top“ zu ergänzen. Beispiel: Spargel mit Orangen-Safran-Sauce und geschwenkten Kartoffeln. Das ist die „Basis“, die rein pflanzlich ist. Der Gast bestellt dazu einen Wiener Schnitzel, einen gebratenen Fisch oder kross gebackene Austernseitlinge. So kann die Küche ein relativ schmales Mise en Place aufbauen und bedient alle Kunden mit einem allseits hochwertigen Angebot. Mitbedacht bei der Kalkulation sollte natürlich auch der tatsächliche Arbeitsaufwand bei der Zubereitung der pflanzlichen Gerichte werden. Hier lauern oft „versteckte“ Kosten.
Fleisch- und Fisch-Ersatzprodukte können ebenso eine gute Unterstützung sein, dies hängt nicht zuletzt mit der konkreten Gästestruktur zusammen. Junges Publikum ist neugieriger und offener für neue Produkte. Wichtig dabei ist, dass diese Produkte in einem ersten Schritt die Köche überzeugen können, schließlich stehen sie persönlich für die Qualität der kredenzten Produkte ein. Wichtig ist zudem auch die Auswahl der Getränke. Denn: Vegane Weine und alkoholfreie Alternativen ermöglichen auch eine rein pflanzliche Begleitung der Speisen.
Grundsätzlich ist die Veränderung der Arbeitsweise in der Gesamtheit sichtbar, die Küchen verarbeiten weniger Milchprodukte und Eier und auch die verarbeiteten Fleischmengen werden insgesamt geringer. Wenn gleichzeitig eine Umstellung auf hochwertige regionale Produkte erfolgt (zum Beispiel von einem namenlosen „Schnitzel vom Schwein“ auf ein „Schnitzel vom Stunzachtäler Strohschwein“), dann entsteht ein Qualitätssprung, der im Idealfall auch bei den Gästen für Aufsehen sorgt.
Plant-based-Gerichte sollten zudem selbstverständlich über eine gute Verkaufsmarge verfügen, sodass auch Personal und Inhaber Interesse an einem Abverkauf haben. Eine schöne Auswahl an veganen Gerichten ist marketingtechnisch gesehen auch ein Qualitätsmerkmal des Betriebes und zeigt Verantwortung und Respekt für die Natur und die Landwirte. Da Essengehen auch mittelweile einem politischen Statement gleicht und eine soziale Stellung demonstriert, ist dieser Aspekt von großer Bedeutung. Doch die Gastronomie wirkt hier keineswegs bevormundend, es sollte vielmehr eine breite Auswahl für alle Geschmäcker bereitstehen.