RAU PROF. DR. SCHINNENBURG, WÄHREND IN DER ÄLTEREN GENERATION ROLLENBILDER NOCH SEHR STARK VERANKERT SIND, ZEIGT SICH BEI DER JUNGEN GENERATION EINE DEUTLICHE TENDENZ HIN ZU VIELFÄLTIGEN LEBENSENTWÜRFEN. WELCHE CHANCEN ERGEBEN SICH, WENN MAN SICH VON GÄNGIGEN ROLLENKLISCHEES ABWENDET?
Mit Blick auf die Lebensplanung und Entwürfe junger Frauen lässt sich feststellen, dass es eine höhere Erwartungshaltung gibt und nicht einfach den traditionellen Wegen gefolgt wird. Familiäre Aufgaben sollen gleichberechtigter aufgeteilt werden. Es gibt einen großen Wunsch, im Beruf zu bleiben und sich auch professionell weiterzuentwickeln. Also für mich liegen die Chancen auf der Hand: Wenn Frauen im Beruf bleiben, erhalten sie ihre Kompetenz und sie bauen eigene Ansprüche für ihre Altersabsicherung auf. Das ist nicht trivial angesichts der Probleme, die wir im Rentensystem haben. Und das ist auch für die Arbeitgeber im Gastgewerbe eine gute Nachricht. Denn, wenn es gelingt, flexible Lösungen für die junge Generation von Frauen anzubieten, dann lässt sich somit auch eine ungewollte Fluktuation vermeiden dazugewinnen.
DAS SERVICEPERSONAL IM GASTGEWERBE IST OFTMALS IN DER TRADITIONELLEN TRACHT GEKLEIDET: KELLNER IN LEDERHOSEN UND KELLNERINNEN IM DIRNDL MIT AUSSCHNITT. SEHEN SIE HIERBEI EINEN KONFLIKT IN DER BEDIENUNG VON ROLLENBILDERN ODER DEN ERHALT VON TRADITION?
Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass die traditionelle Tracht als Dienstkleidung meistens mit viel Stolz getragen wird. Was mir wichtig erscheint ist, dass die Mitarbeiterinnen – in diesem Fall ganz bewusst im Service – nicht zu tiefen Ausschnitten verpflichtet werden. Es gibt viele Varianten von sehr schönen Dirndln. Und meiner Ansicht nach sind Dresscodes nicht in Stein gemeißelt. Ich glaube, es muss auch ein bisschen ausgehandelt werden. Und selbstverständlich gibt es Servicebetriebe, für die eine Tracht zum traditionellen Gesamtkonstrukt gehört. Das wird vom Gast auch so wahrgenommen.
WAS HALTEN SIE VON DER FRAUENQUOTE?
Für eine Quote spricht natürlich, dass wir trotz der öffentlicher Diskussion, die wir seit über 20 Jahren führen, nur sehr zaghafte Veränderungen wahrnehmen, während andere Ziele im Management konkret vereinbart und konsequent verfolgt werden. Trotzdem: Mir persönlich wäre es lieber, wenn man Chancengerechtigkeit über Veränderung von Unternehmenskulturen und ohne Quoten erreichen würde. Eine Quote ist auch mit vielen Nachteilen verbunden, deswegen habe ich hierzu keine eindeutige Antwort. Wir brauchen die öffentliche Diskussion über dieses Thema aber definitiv auch in Zukunft, um für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.
WORIN UNTERSCHEIDET SICH – IHRER MEINUNG NACH – DER FÜHRUNGSSTIL VON FRAUEN UND MÄNNERN?
Das lässt sich pauschal tatsächlich gar nicht beantworten. Wenn man das versucht, gerät man häufig in die gängigen Stereotypen, wie „Frauen sind fürsorglicher“ oder Ähnliches. Ich persönlich kann das nicht bestätigen; auch die Forschung zeigt hier keine eindeutigen Ergebnisse. Was wir wissen ist, dass ein größerer Frauenanteil an der Spitze von Organisationen die Unternehmensleitung verbessert und auch die Unternehmenskultur positiv verändert. Doch woran liegt das? Für mich erscheint plausibel, dass Unternehmen, in denen Talente gleiche Chancen haben – und zwar ganz unabhängig vom Geschlecht – einfach aus einem größeren Pool an gut qualifizierten und engagierten Nachwuchskräften auswählen können. In der Gastronomie sind noch immer viele Frauen im Servicebereich tätig. Je weiter es nach oben geht, desto mehr Männer werden es.
WIE KÖNNEN SICH FRAUEN GEHÖR VERSCHAFFEN?
Männern wird sozusagen vorab Kompetenz unterstellt, während sich Frauen erst einmal beweisen müssen. Wir sehen das auch in Talkshows, dass Frauen, selbst wenn sie als hochrangige Expertinnen eingeladen wurden, eher unterbrochen werden als ihre männlichen Kollegen. Letztendlich funktioniert nur Beharrlichkeit und eine geschickte Rhetorik, z.B. „Ich freue mich, wenn Sie mich genauso ausreden lassen wie ich das bei Ihnen tue.“ Durch derart pointierte Formulierungen wird das Gegenüber auf die Ungleichbehandlung aufmerksam. Zudem sind natürlich auch die Führungskräfte gefragt, in Meetings diese Machtspiele zu reduzieren.
DIE VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE STELLT NACH WIE VOR EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG DAR. WAS MUSS SICH GESELLSCHAFTLICH ÄNDERN, UM DIE HÜRDEN FÜR FRAUEN IN DER ARBEITSWELT UND BEI IHREM KARRIERESTART ZU REDUZIEREN?
In den letzten Jahren ist diesbezüglich viel passiert, zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung. Allerdings sind unsere Steuer- und Sozialversicherungssysteme, wie etwa das Ehegattensplitting statt Familiensplitting, noch immer auf die traditionelle Rollenverteilung ausgerichtet. In Deutschland wird so belohnt, wenn ein Partner – klassisch die Frau – zu Hause bleibt. Die Erwartungen an Frauen lassen sich auch nicht in wenigen Jahren und Jahrzehnten komplett verändern. Oft sind sie selbst in diesen Rollen verhaftet und stellen ihre beruflichen Interessen zugunsten von Familie und der Karriere des Mannes zurück. Das ist die Normalität, die viele Frauen erleben, auch für sich selbst. Es geht in diesem Fall also weniger um Hürden beim Karrierestart. Die Forschung zeigt, es geht vor allem um den sogenannten Karriereknick. Sprich: Frauen steigen für eine längere Zeit aus der Berufstätigkeit aus und arbeiten nach dem Wiedereinstieg häufig nur in Teilzeit oder gar als Minijobber weiter. Ist frau erst einmal im Minijob gelandet, dann ist die Wahrscheinlichkeit, an ihre frühere Karriere und ursprüngliche Qualifikation anzuknüpfen, sehr gering.
WAS HALTEN SIE VON GENDERGERECHTER SPRACHE?
Ich halte es für wichtig, bewusst und sensibel mit der Sprache umzugehen, um mehr Chancengerechtigkeit herzustellen. Allerdings erscheinen mir viele Ansätze, die jetzt diskutiert werden, sprachlich nicht gelungen. Ich selbst bin auch keine Verfechterin des Gendersternchens.
Das Interview führte Melanie Walz