Herr Minister Lindner, Sie fordern, die jetzige Krise verlange „ein Update, das Schwächen behebt, Prozesse beschleunigt und neue Zusammenarbeit ermöglicht“. Dennoch hat Deutschland im europäischen Vergleich die höchsten Arbeitskosten für Arbeitgeber und zeitgleich die niedrigsten Nettoeinkommen für Arbeitnehmer zu verzeichnen. Wäre „Mehr Netto vom Brutto“ angesichts der immens steigenden Kosten nicht für beide Seiten zielführend?
Entlastungen bleiben in der Krise und in einem Hochsteuerland wie Deutschland richtig und notwendig. Wir haben bisher schon mehr erreicht als die meisten Bundesregierungen vor uns. Die Kalte Progression wird vollständig ausgeglichen, wir haben Pauschalen und Freibeträge erhöht, Abschreibungen verstetigt. Ich bin aber ganz offen: Mir reicht das noch nicht. Ich sehe den Bedarf, Unternehmenssteuern international konkurrenzfähiger zu machen, die Extrameile und die Überstunde stärker zu honorieren, und die Sozialversicherungsbeiträge über echte Reformen in unseren Sicherungssystemen konstant zu halten. Ganz konkret halte ich etwa den Soli nicht nur für verzichtbar, sondern seine Abschaffung auch für eine Frage der Fairness und der Glaubwürdigkeit. Es ist nur leider eine bedauerliche Tatsache, dass für diese Projekte derzeit eine politische Mehrheit fehlt – im Übrigen fehlte sie auch 2017 in einer anderen politischen Konstellation. Innerhalb der Koalition werde ich trotzdem weiterhin mit fröhlicher Penetranz dafür werben.
Die Bundesregierung plant ein „Recht auf Homeoffice“. Die Gastronomie-Branche ist indes geprägt durch „Mensch-zu-Mensch-Berufe“, die nicht von zu Hause aus erledigt werden können. Setzen Sie sich hier als Ausgleich für die Mitarbeiter für ein flexibleres Arbeitszeitgesetz ein, so, wie es die EU vorsieht?
Es geht nicht darum, Menschen ins Homeoffice zu zwingen – schon gar nicht, wenn dies in bestimmten Branchen nicht praktikabel ist. Viel mehr brauchen wir mehr Flexibilisierung auf ganz verschiedenen Ebenen. Was die Gestaltung der Arbeitszeit und des Arbeitsplatzes angeht, hinkt das Recht schon lange der Realität hinterher. Der Staat wollte ursprünglich schützen, doch heute fesselt er vielmehr. Es gab schon vor der Pandemie den Wunsch nach mehr mobilem Arbeiten – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch Pflege und Beruf wird immer wichtiger. Es gibt Geschäftsmodelle, bei denen sich Belastungsspitzen und Ruhephasen abwechseln. Wir brauchen insgesamt ein Arbeitsrecht, das dem Rechnung trägt. Ich setze mich deswegen schon lange für die Umstellung auf eine wöchentliche statt eine tägliche Höchstarbeitszeit, flexiblere Mindestruhezeiten und Langzeitarbeitskonten ein.
Darf das Gastgewerbe Sie weiterhin an seiner Seite wissen, wenn es um die Entfristung der Umsatzsteuerreduzierung auf Speisen geht?
Ich halte angesichts der schwerwiegenden Einschränkungen, die das Gastgewerbe während der Corona-Pandemie hinnehmen musste, weiterhin für richtig, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen angewendet wird. Das hat mich auch bei der Entscheidung zur Verlängerung bis Ende 2023 geleitet. Ich fände auch die unbefristete Anwendbarkeit richtig. Es ist aber kein Geheimnis, dass sich manche Koalitionspartner damit schwertun.
…und wie sieht es diesbezüglich der Getränke aus?
Hier ist die Sachlage anders: Die Lieferung von Getränken unterliegt, mit wenigen Ausnahmen, grundsätzlich dem regulären Steuersatz. Hier stellen sich rechtliche Fragen. Wenn wir die Ermäßigung auf Getränke in Restaurants ausdehnen, drohen Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des Lebensmitteleinzelhandels. Denn dort würde bei der Lieferung von Getränken weiterhin der Regelsteuersatz gelten. Das würde auch rein praktische Probleme ergeben: Für die korrekte Umsatzversteuerung wäre dann immer zu differenzieren, ob die Abgabe des Getränks zum Verzehr an Ort und Stelle oder zum Mitnehmen erfolgt.